Campus Cantat 2004 - 10. Internationale Musikwoche der Universität Dortmund

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"von Goethe, Stimmen, Elemente"

Heil dem Wasser! Heil dem Feuer!
Heil dem seltnen Abenteuer!
Heil den mildgewogenen Lüften!
Heil geheimnisreichen Grüften!
Hochgefeiert seid allhier,
Element' ihr alle vier!

[Goethe: Faust. Eine Tragödie, (vgl. Goethe-HA Bd. 3, S. 255 ff.)]

Dieses Preislied auf die vier Elemente lässt Wolfgang von Goethe den Chor der Sirenen, verstärkt durch den Gesamtchor (»All Alle«) zum Aktschluss seines „Faust“ singen. Es enthält die drei Säulen für


Das Konzept von CAMPUS CANTAT 2004

1. Von Goethe:
„CAMPUS CANTAT 2004“ steht ganz im Zeichen Johann Wolfgang von Goethes, dem für die Komponisten wohl anregendsten deutschen Dichter. Als an der Musik künstlerisch und wissenschaftlich Interessierter, hatte er klare Vorstellungen von der angemessenen Vertonung seiner Verse (von der er eine „radikale Reproduktion der poetischen Intentionen“ wünschte). Er suchte „geistige Nachbarschaft“ mit Komponisten (sein Briefverkehr mit Zelter umfasst achthunderteinundsiebzig Sendungen und bildet eine Grundlage für die von ihm 1810 veröffentlichte „Tonlehre“), er äußerte sich über Bach, („als wenn die ewige Harmonie sich mit sich selbst unterhielte“) und Mozart, (in dessen „Don Juan“ er seine Hoffnungen von der Oper „auf einen hohen Grad erfüllt“ sah), blieb in respektvoller Distanz zu Beethoven, dem musikalischen Heros seiner Zeit (dessen Talent ihn zwar „in Erstaunen gesetzt“, den er aber dennoch für einen „ganz ungebändigten Menschen“ hielt), ließ den um Anerkennung ringenden Schubert Nichtbeachtung zuteil werden (indem er ihm keine Antwort auf die ihm zugesandten Kompositionen gab) und sich selbst schließlich vom jungen Mendelssohn auf dem Klavier mit „Vergnügen, Anteil und Nachdenken“ Musikwerke in ihrer geschichtlichen Abfolge darbieten mit dem Bemerken: „Denn wer versteht irgendeine Erscheinung, wenn er sich nicht von dem Gang ihres Herankommens erfüllt?“ Seine Strahlkraft auf Musiker hat auch nach seinem Tod nicht nachgelassen. Nach seinen Gedichten begannen sie sich verstärkt seinen dramatischen Werken zuzuwenden. Für den „Faust“, von dem er selbst sagte „Ein Ganzes ist es nicht“ und dem er attestierte, er beginne im ersten Teil als Tragödie und ende im zweiten als Oper, wünschte er sich inständig, dass „nur ein rechter Komponist sich daran mache“. Tatsächlich fanden sich etliche, die ihn mit spezieller Akzentsetzung umformten, aber keiner konnte die Spannweite der Textvorlage auch musikalisch nachbilden.
Schumanns „Szenen aus Goethes Faust“ stellen aus der unmittelbaren Nachfolgerschaft den vielleicht ambitioniertesten, aber zwangsläufig umstrittenen Versuch dar, die Summe von Goethes dichterischem Schaffen in Musik zu setzen.

2. Stimmen:
„CAMPUS CANTAT“ gibt traditionell dem chorischen Singen weiten Raum. Dieser Ansatz wird auch 2004 beibehalten und zugleich erweitert. Die Orientierung an einem Dichter erlaubt es, Werke verschiedener Komponisten vorzustellen und damit auch verschiedene vokale Ausdrucksformen. Stilistisch ist mit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine der produktivsten Epochen der Musikgeschichte vertreten, die – in großem Facettenreichtum - von der ausgehenden Klassik bis zu Hochromantik reicht. Es war dies auch eine Blütezeit des Chorwesens und es trägt dieser Tatsache Rechung, dass „CAMPUS CANTAT 2004“ neben der Kraft eines großen gemischten Chores auch andere Stimmkombinationen zur Geltung bringen will. Der Klang eines achtstimmigen Männerchores wird ebenso wie ein vierstimmiger Frauenchor (nebst weiteren vier Solistinnen) das Klangbild prägen, letzterer übrigens durch ein Werk von Fanny Hensel repräsentiert, das der bisherige künstlerische Leiter Prof. Dr. Willi Gundlach editorisch betreut und 1998 wohl erstmalig auf CD eingespielt hat. Damit stellt sich der neue Leiter Reinhard Fehling allen Neuerungen zum Trotz in eine Linie respektvoller Kontinuität, die dadurch unterstrichen wird, dass er dieses Werk, das von der Komponistin nur in einer Fassung mit Klavier (dessen Part allerdings sehr anspruchsvoll und orchestral angelegt ist) vorliegt, zu einer vollständigen Orchesterfassung erweitert hat. Damit ist sogar eine „kleine“ Uraufführung inbegriffen.

3. Elemente:
„CAMPUS CANTAT 2004“ steht unter der thematischen Vorgabe: „Die vier Elemente“. Diese reflektiert die internationale Kommunizierbarkeit des Vorhabens, bezieht auch die Interdisziplinarität als Erweiterungsmöglichkeit mit ein und trägt nicht zuletzt der Tatsache Rechung, dass Goethe selbst sich in seinem künstlerischen und wissenschaftlichen Schaffen langandauernd und intensiv mit diesem Thema befasst hat. Innerhalb einer Reihe physikalischer Vorträge erklärte er 1805 den Ursprung der quadruplen Einteilung der Elemente der Natur (Luft, Feuer, Wasser, Erde) als eine teilweise »naturgemäße Verdoppelung der Gegensätze« wie bei den»Weltgegenden« (Norden-Süden, Osten-Westen) »Jahreszeiten« (Frühling-Sommer, Herbst-Winter), »Temperamenten« (Sanguiniker-Melancholiker, Choleriker-Phlegmatiker). (Es fällt auf, dass auch die Stimmregister Sopran- Alt, Tenor-Bass dieser Einteilung folgen.) Er versteht die »Elemente« tellurisch (auf die Erde bezogen), und in dieser Sicht als Symbol für die Feinde des Menschen. Als Sechsundsiebzigjähriger schreibt er: »Es ist offenbar, daß das, was wir Elemente nennen, seinen eigenen wilden wüsten Gang zu nehmen immerhin den Trieb hat. Die Elemente daher sind als colossale Gegner zu betrachten, mit denen wir ewig zu kämpfen haben, und sie nur durch die höchste Kraft des Geistes, durch Muth und List, im einzelnen Fall bewältigen. Die Elemente sind die Willkür selbst zu nennen« (Versuch einer Witterungslehre. 1825) Nur durch geistige Anstrengung vermag sich der Mensch seiner Meinung nach dieser »Feinde« zu erwehren und sie zu unterwerfen. Später, in der »Classischen Walpurgisnacht« aus dem erst kurz vor seinem Tode fertiggestellten zweiten Teil der Tragödie Faust, erhalten die in der Witterungslehre noch feindlichen Elemente im Gespräch zwischen Anaxagoras, dem »Feuerphilosophen« und Thaies, dem »Wasserphilosophen« lebenspendende Eigenschaften: »Durch Feuersbrunst ist dieser Fels zu Handen./Im Feuchten ist Lebendiges entstanden (7855 f.)“ nach: Claus Canisius : Goethe und die Musik, München 1998 (S. 91 f.)

Gott, Gemüt und Welt
Und wird das Wasser sich entfalten,
Sogleich wird sich's lebendig gestalten;
Da wälzen sich Tiere, sie trocknen zum Flor,
Und Pflanzengezweige, sie dringen hervor.

Durchsichtig erscheint die Luft so rein
Und trägt im Busen Stahl und Stein.
Entzündet werden sie sich begegnen;
Da wird's Metall und Steine regnen.

Denn was das Feuer lebendig erfaßt,
Bleibt nicht mehr Unform und Erdenlast.
Verflüchtigt wird es und unsichtbar,
Eilt hinauf, wo erst sein Anfang war.

Und so kommt wieder zur Erde herab,
Dem die Erde den Ursprung gab.
Gleicherweise sind wir auch gezüchtigt,
Einmal gefestet, einmal verflüchtigt.

Und wer durch alle die Elemente
Feuer, Luft, Wasser und Erde rennte,
Der wird zuletzt sich Überzeugen,
Er sei kein Wesen ihresgleichen.

[Goethe: Gedichte (Ausgabe letzter Hand. 1827), S. 589 ff. Digitale Bibliothek Sonderband: Meisterwerke deutscher Dichter und Denker, S. 7473 (vgl. Goethe-BA Bd. 1, S. 427 ff.)]


WASSER UND LUFT


Ludwig v. Beethoven: Meeres Stille und Glückliche Fahrt op. 112


Entstanden 1814/15, für gemischten Chor und Orchester, 8 Min.

Meeresstille
Tiefe Stille herrscht im Wasser,
Ohne Regung ruht das Meer,
Und bekümmert sieht der Schiffer
Glatte Fläche ringsumher.
Keine Luft von keiner Seite!
Todesstille fürchterlich!
In der ungeheuern Weite
Reget keine Welle sich.

Glückliche Fahrt
Die Nebel zerreißen,
Der Himmel ist helle,
Und Äolus löset
Das ängstliche Band.
Es säuseln die Winde,
Es rührt sich der Schiffer.
Geschwinde! Geschwinde!
Es teilt sich die Welle,
Es naht sich die Ferne;
Schon seh ich das Land!

[Goethe: Gedichte (Ausgabe letzter Hand. 1827), S. 54 ff. Digitale Bibliothek Sonderband: Meisterwerke deutscher Dichter und Denker, S. 6938 (vgl. Goethe-BA Bd. 1, S. 47 ff.)]


Franz Schubert: Gesang der Geister über den Wassern, op. 167


Uraufführung 1821, für achtstimmigen Männerchor und Streicher

Des Menschen Seele
Gleicht dem Wasser:
Vom Himmel kommt es,
Zum Himmel steigt es,
Und wieder nieder
Zur Erde muß es,
Ewig wechselnd.

Strömt von der hohen,
Steilen Felswand
Der reine Strahl,
Dann stäubt er lieblich
In Wolkenwellen
Zum glatten Fels,
Und leicht empfangen,
Wallt er verschleiernd,
Leisrauschend
Zur Tiefe nieder.

Ragen Klippen
Dem Sturz entgegen,
Schäumt er unmutig
Stufenweise
Zum Abgrund.

Im flachen Bette
Schleicht er das Wiesental hin,
Und in dem glatten See
Weiden ihr Antlitz
Alle Gestirne.

Wind ist der Welle
Lieblicher Buhle;
Wind mischt vom Grund aus
Schäumende Wogen.

Seele des Menschen,
Wie gleichst du dem Wasser!
Schicksal des Menschen,
Wie gleichst du dem Wind!

[Goethe: Gedichte (Ausgabe letzter Hand. 1827), S. 448 ff. Digitale Bibliothek Sonderband: Meisterwerke deutscher Dichter und Denker, S. 7332 (vgl. Goethe-BA Bd. 1, S. 312 ff.)]


Fanny Hensel

Faust. Der Tragödie zweiter Teil, erste Szene. MA Ms. 86,1
Enstanden 1843, für Frauenchor, 2 Solosoprane, 2 Soloalte und Klavier (evtl. Orchester)

Anmutige Gegend
Faust auf blumigen Rasen gebettet, ermüdet,
unruhig, schlafsuchend. Dämmerung. Geisterkreis
schwebend bewegt, anmutige kleine Gestalten.

ARIEL. (Gesang, von Äolsharfen begleitet.)
Wenn der Blüten Frühlingsregen
Über alle schwebend sinkt,
Wenn der Felder grüner Segen
Allen Erdgebornen blinkt,
Kleiner Elfen Geistergröße
Eilet, wo sie helfen kann,
Ob er heilig, ob er böse,
Jammert sie der Unglücksmann.

Die ihr dies Haupt umschwebt im luft'gen Kreise,
Erzeigt euch hier nach edler Elfen Weise,
Besänftiget des Herzens grimmen Strauß,
Entfernt des Vorwurfs glühend bittre Pfeile,
Sein Innres reinigt von erlebtem Graus.

Vier sind die Pausen nächtiger Weile,
Nun ohne Säumen füllt sie freundlich aus.
Erst senkt sein Haupt aufs kühle Polster nieder,
Dann badet ihn im Tau aus Lethes Flut;
Gelenk sind bald die krampferstarrten Glieder,
Wenn er gestärkt dem Tag entgegenruht;
Vollbringt der Elfen schönste Pflicht,
Gebt ihn zurück dem heiligen Licht.

CHOR. (Einzeln, zu zweien und vielen, abwechselnd und gesammelt.)

Serenade: Wenn sich lau die Lüfte füllen
Um den grünumschränkten Plan,
Süße Düfte, Nebelhüllen
Senkt die Dämmerung heran.
Lispelt leise süßen Frieden,
Wiegt das Herz in Kindesruh;
Und den Augen dieses Müden
Schließt des Tages Pforte zu.

Notturno: Nacht ist schon hereingesunken,
Schließt sich heilig Stern an Stern,
Große Lichter, kleine Funken
Glitzern nah und glänzen fern;
Glitzern hier im See sich spiegelnd,
Glänzen droben klarer Nacht,
Tiefsten Ruhens Glück besiegelnd
Herrscht des Mondes volle Pracht.

Mattutino: Schon verloschen sind die Stunden,
Hingeschwunden Schmerz und Glück;
Fühl es vor! Du wirst gesunden;
Traue neuem Tagesblick.
Täler grünen, Hügel schwellen,
Buschen sich zu Schattenruh;
Wogt die Saat der Ernte zu.

Reveille: Wunsch um Wünsche zu erlangen,
Schaue nach dem Glanze dort!
Leise bist du nur umfangen,
Schlaf ist Schale, wirf sie fort!
Säume nicht, dich zu erdreisten,
Wenn die Menge zaudernd schweift;
Alles kann der Edle leisten,
Der versteht und rasch ergreift.

[Goethe: Faust. Eine Tragödie, S. 225 ff. Digitale Bibliothek Sonderband: Meisterwerke deutscher Dichter und Denker, S. 9944 (vgl. Goethe-HA Bd. 3, S. 146 ff.)]


FEUER


Felix Mendelssohn-Bartholdy: Die erste Walpurgisnacht, op. 60


Entstanden 1841-43, für gemischten Chor, Alt, Tenor, Bariton, Bass und Orchester

EIN DRUIDE
Es lacht der Mai!
Der Wald ist frei
Von Eis und Reifgehänge.
Der Schnee ist fort;
Am grünen Ort
Erschallen Lustgesänge.
Ein reiner Schnee
Liegt auf der Höh;
Doch eilen wir nach oben,
Begehn den alten heil'gen Brauch,
Allvater dort zu loben.
Die Flamme lodre durch den Rauch!
So wird das Herz erhoben.

DIE DRUIDEN
Die Flamme lodre durch den Rauch!
Begeht den alten heil'gen Brauch,
Allvater dort zu loben!
Hinauf! hinauf nach oben!
Einer aus dem Volke
Könnt ihr so verwegen handeln?
Wollt ihr denn zum Tode wandeln?
Kennet ihr nicht die Gesetze
Unsrer harten Überwinder?
Rings gestellt sind ihre Netze
Auf die Heiden, auf die Sünder.
Ach, sie schlachten auf dem Walle
Unsre Weiber, unsre Kinder.
Und wir alle
Nahen uns gewissem Falle.

CHOR DER WEIBER
Auf des Lagers hohem Walle
Schlachten sie schon unsre Kinder.
Ach, die strengen Überwinder!
Und wir alle
Nahen uns gewissem Falle.

EIN DRUIDE
Wer Opfer heut
Zu bringen scheut,
Verdient erst seine Bande.
Der Wald ist frei!
Das Holz herbei,
Und schichtet es zum Brande!
Doch bleiben wir
Im Buschrevier
Am Tage noch im stillen,
Und Männer stellen wir zur Hut
Um eurer Sorge willen.
Dann aber laßt mit frischem Mut
Uns unsre Pflicht erfüllen.

CHOR DER WÄCHTER
Verteilt euch, wackre Männer, hier
Durch dieses ganze Waldrevier,
Und wachet hier im stillen,
Wenn sie die Pflicht erfüllen.

EIN WÄCHTER
Diese dumpfen Pfaffenchristen,
Laßt uns keck sie überlisten!
Mit dem Teufel, den sie fabeln,
Wollen wir sie selbst erschrecken.
Kommt! Mit Zacken und mit Gabeln
Und mit Glut und Klapperstöcken
Lärmen wir bei nächt'ger Weile
Durch die engen Felsenstrecken.
Kauz und Eule
Heul in unser Rundgeheule!

CHOR DER WÄCHTER
Kommt mit Zacken und mit Gabeln
Wie der Teufel, den sie fabeln,
Und mit wilden Klapperstöcken
Durch die leeren Felsenstrecken!
Kauz und Eule
Heul in unser Rundgeheule!

EIN DRUIDE
So weit gebracht,
Daß wir bei Nacht
Allvater heimlich singen!
Doch ist es Tag,
Sobald man mag
Ein reines Herz dir bringen.
Du kannst zwar heut
Und manche Zeit
Dem Feinde viel erlauben.
Die Flamme reinigt sich vom Rauch:
So reinig unsern Glauben!
Und raubt man uns den alten Brauch:
Dein Licht, wer will es rauben!

EIN CHRISTLICHER WÄCHTER
Hilf, ach hilf mir, Kriegsgeselle!
Ach, es kommt die ganze Hölle!
Sieh, wie die verhexten Leiber
Durch und durch von Flamme glühen!
Menschenwölf und Drachenweiber,
Die im Flug vorüberziehen!
Welch entsetzliches Getöse!
Laßt uns, laßt uns alle fliehen!
Oben flammt und saust der Böse;
Aus dem Boden
Dampfet rings ein Höllenbroden.

CHOR DER CHRISTLICHEN WÄCHTER
Schreckliche, verhexte Leiber,
Menschenwölf und Drachenweiber!
Welch entsetzliches Getöse!
Sieh, da flammt, da zieht der Böse!
Aus dem Boden
Dampfet rings ein Höllenbroden.

CHOR DER DRUIDEN
Die Flamme reinigt sich vom Rauch:
So reinig unsern Glauben!
Und raubt man uns den alten Brauch:
Dein Licht, wer kann es rauben!

[Goethe: Gedichte (Ausgabe letzter Hand. 1827), S. 185 ff. Digitale Bibliothek Sonderband: Meisterwerke deutscher Dichter und Denker, S. 7069 (vgl. Goethe-BA Bd. 1, S. 147 ff.)]


ERDE


Robert Schumann: Szene aus Goethes Faust (o.O., entst. 1844-53)
Für gemischten Chor, Bariton, Bass und Orchester)

FAUST, (erblindet.)
Die Nacht scheint tiefer tief hereinzudringen,
Allein im Innern leuchtet helles Licht;
Was ich gedacht, ich eil' es zu vollbringen;
Des Herren Wort, es gibt allein Gewicht.
Vom Lager auf, ihr Knechte! Mann für Mann!
Laßt glücklich schauen, was ich kühn ersann.
Ergreift das Werkzeug, Schaufel rührt und Spaten!
Das Abgesteckte muß sogleich geraten.
Auf strenges Ordnen, raschen Fleiß
Erfolgt der allerschönste Preis;
Daß sich das größte Werk vollende,
Genügt ein Geist für tausend Hände.

Großer Vorhof des Palasts

Fackeln.
MEPHISTOPHELES (als Aufseher voran.)
Herbei, herbei! Herein, herein!
Ihr schlotternden Lemuren,
Aus Bändern, Sehnen und Gebein
Geflickte Halbnaturen.
LEMUREN (im Chor.)
Wir treten dir sogleich zur Hand,
Und wie wir halb vernommen,
Es gilt wohl gar ein weites Land,
Das sollen wir bekommen.

Gespitzte Pfähle, die sind da,
Die Kette lang zum Messen;
Warum an uns der Ruf geschah,
Das haben wir vergessen.

MEPHISTOPHELES.
Hier gilt kein künstlerisch Bemühn;
Verfahret nur nach eignen Maßen!
Der Längste lege längelang sich hin,
Ihr andern lüftet ringsumher den Rasen;
Wie man's für unsre Väter tat,
Vertieft ein längliches Quadrat!
Aus dem Palast ins enge Haus,
So dumm läuft es am Ende doch hinaus.
LEMUREN, (mit neckischen Gebärden grabend.)
Wie jung ich war und lebt' und liebt',
Mich deucht, das war wohl süße;
Wo's fröhlich klang und lustig ging,
Da rührten sich meine Füße.
Nun hat das tückische Alter mich
Mit seiner Krücke getroffen;
Ich stolpert' über Grabes Tür,
Warum stand sie just offen!
FAUST, (aus dem Palaste tretend, tastet an den
Türpfosten.)
Wie das Geklirr der Spaten mich ergetzt!
Es ist die Menge, die mir frönet,
Die Erde mit sich selbst versöhnet,
Den Wellen ihre Grenze setzt,
Das Meer mit strengem Band umzieht.
MEPHISTOPHELES (beiseite.)
Du bist doch nur für uns bemüht
Mit deinen Dämmen, deinen Buhnen;
Denn du bereitest schon Neptunen,
Dem Wasserteufel, großen Schmaus.
In jeder Art seid ihr verloren; -
Die Elemente sind mit uns verschworen,
Und auf Vernichtung läuft's hinaus.
FAUST. Aufseher!
MEPHISTOPHELES. Hier!
FAUST. Wie es auch möglich sei,
Arbeiter schaffe Meng' auf Menge,
Ermuntere durch Genuß und Strenge,
Bezahle, locke, presse bei!
Mit jedem Tage will ich Nachricht haben,
Wie sich verlängt der unternommene Graben.
MEPHISTOPHELES. (halblaut.)
Man spricht, wie man mir Nachricht gab,
Von keinem Graben, doch vom Grab.
FAUST. Ein Sumpf zieht am Gebirge hin,
Verpestet alles schon Errungene;
Den faulen Pfuhl auch abzuziehn,
Das Letzte wär' das Höchsterrungene.
Eröffn' ich Räume vielen Millionen,
Nicht sicher zwar, doch tätig-frei zu wohnen.
Grün das Gefilde, fruchtbar; Mensch und Herde
Sogleich behaglich auf der neusten Erde,
Gleich angesiedelt an des Hügels Kraft,
Den aufgewälzt kühn-emsige Völkerschaft.
Im Innern hier ein paradiesisch Land,
Da rase draußen Flut bis auf zum Rand,
Und wie sie nascht, gewaltsam einzuschießen,
Gemeindrang eilt, die Lücke zu verschließen.
Ja! diesem Sinne bin ich ganz ergeben,
Das ist der Weisheit letzter Schluß:
Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben,
Der täglich sie erobern muß.
Und so verbringt, umrungen von Gefahr,
Hier Kindheit, Mann und Greis sein tüchtig Jahr.
Solch ein Gewimmel möcht' ich sehn,
Auf freiem Grund mit freiem Volke stehn.
Zum Augenblicke dürft' ich sagen:
Verweile doch, du bist so schön!
Es kann die Spur von meinen Erdetagen
Nicht in Äonen untergehn. -
Im Vorgefühl von solchem hohen Glück
Genieß' ich jetzt den höchsten Augenblick.

(Faust sinkt zurück,
die Lemuren fassen ihn auf und legen ihn auf den
Boden.)
MEPH. Ihn sättigt keine Lust, ihm gnügt kein Glück,
So buhlt er fort nach wechselnden Gestalten;
Den letzten, schlechten, leeren Augenblick,
Der Arme wünscht ihn festzuhalten.
Der mir so kräftig widerstand,
Die Zeit wird Herr, der Greis hier liegt im Sand.
Die Uhr steht still -
CHOR. Steht still! Sie schweigt wie Mitternacht.
Der Zeiger fällt.
MEPHISTOPHELES. Er fällt, es ist vollbracht.
CHOR. Es ist vorbei.

[Goethe: Faust. Eine Tragödie, S. 557 ff. Digitale Bibliothek Sonderband: Meisterwerke deutscher Dichter und Denker, S. 10276 (vgl. Goethe-HA Bd. 3, S. 346 ff.)]